DIE LINKE. NRW als Arzt am Krankenbett des kapitalistischen Systems?
Stellungnahme des Sprecher*innenrats der AKL NRW zum Landesparteitag 2021
Auf dem Landesparteitag der LINKEN in NRW ging es zum einen darum, Konsequenzen aus dem schlechten Abschneiden bei der Bundestagswahl zu ziehen und zum anderen, ein Landtagswahlprogramm für die kommenden Wahlen in NRW zu beschließen. Außerdem waren nach Rücktritten aus dem Landesvorstand und dem des Landessprechers einige Landesvorstandsämter neu zu besetzen.
Für die Auswertung der Bundestagswahlen waren Gastbeiträge von Janine Wissler und Sahra Wagenknecht vorgesehen. Jedoch bereits bei der Beratung über die Tagesordnung geschah Unerwartetes. Ein Antrag, die Rede von Sahra Wagenknecht abzusetzen, weil sie keine bedeutende Rolle mehr in NRW spiele, wurde mit deutlicher Mehrheit angenommen. Schon lange gibt es im Landesverband eine große Unzufriedenheit darüber, dass Sahra Wagenknecht sich, außer bei Großveranstaltungen in Wahlkampfzeiten, kaum in NRW sehen lässt und sich nicht an der politischen Diskussion über den Kurs der Partei beteiligt. Mit dem Erscheinen ihres Buches "Die Selbstgerechten" direkt nach ihrer Aufstellung als Spitzenkandidatin in NRW und ihrer anschließenden Medienkampagne für ihr Gegenprogramm zum Programm der Linken und der Diskreditierung vieler Mitglieder als Lifestyle-Linke hat sie weiter an Zustimmung verloren. Und die krachende Niederlage bei der Bundestagswahl, nach der nur noch sechs von ehemals zwölf Abgeordneten aus NRW im Bundestag vertreten sind, wird von vielen auch ihr und dem auf sie zugeschnittenen Wahlkampf angelastet.
Ein Antrag der AKL "Programm und Partei verteidigen", mit dem Ziel Mandats- und Funktionsträger*innen auf die Grundsätze der Partei im Bereich Internationalismus, Migration und Integration und die Zusammenarbeit mit fortschrittlichen sozialen Bewegungen, für eine verbindende Klassenpolitik zu verpflichten, wurde in der Tagesordnung mit knapper Mehrheit nicht nach der Auswertung der Bundestagswahlen aufgenommen und dann am Sonntag nicht mehr behandelt.
Das zeigt, dass es zwar viel Kritik an dem Kurs von Sahra Wagenknecht und anderen gibt, aber konkrete Festlegungen am Ende immer noch gescheut werden. Das sich am Sonntag bei einem Geschäftsordnungsantrag, diesen Antrag noch zu behandeln, ausgerechnet der zurückgetretene Landessprecher und ehemalige Mitarbeiter von Sahra Wagenknecht, Christian Leye, dagegen aussprach, war bezeichnend. Aber der Antrag ist im Gespräch und die Inhalte werden nicht nur von der AKL weiter verfolgt werden.
Die meiste Zeit nahmen die Diskussionen über die Ausrichtung zu den Landtagswahlen und das Landtagswahlprogramm in Anspruch. Anhand der großen Zahl von Änderungsanträgen war bereits im Vorfeld klar, dass es in der Partei einen erheblichen Bedarf an einer Änderung der Ausrichtung der Partei zu den Landtagswahlen gibt. Auch wenn viele Änderungsanträge übernommen oder teilweise eingearbeitet wurden, gab es immer noch reichlich Diskussionsbedarf.
Leider konnte ein Antrag in der Generaldebatte auf Schluss der Redeliste nicht verhindert werden. Ein weiteres Mal konnten die angeblich „konstruktiven Kräfte“ erreichen, dass nicht über die grundsätzliche Ausrichtung der Partei zu den Landtagswahlen, sondern nur noch über Einzelanträge diskutiert und abgestimmt wurde. Die Abstimmungsergebnisse über Änderungsanträge schwankten zwischen einem "weiter so" bis hin zu offener Opposition gegen den Entwurf und der Ausrichtung des Landesvorstandes.
Der Antrag der LAG Bildung, den Bildungsteil mit einem anderen politisch-strategischen Ansatz zu verbinden, der an das Leiden von Schüler*innen und Eltern während der Pandemie anknüpft, wurde mit deutlicher Mehrheit angenommen. Die Forderung „Schule ohne Hausaufgaben - Schule ohne Noten” steht für eine konkrete politische Utopie in der Bildungspolitik.
Änderungsanträge zu dem sozialdemokratisch erscheinenden Wirtschaftskapitel mit neoliberalen Attitüden konnten leider nur jeweils zwischen 30 und 40 Prozent der Stimmen erreichen. Aber die Diskussion darüber wie linke Wirtschaftspolitik aussehen kann und soll, ist damit eröffnet. Als weiteres deutliches Plus für das Programm werten wir das sehr konkrete Kapitel zur Klima-, Umwelt- und Tierschutzpolitik. Hier zeigt die Landespartei, dass sie die Notwendigkeiten zeitgemäßer linker Klima-, Umwelt- und Tierschutzpolitik verstanden hat.
Ganz anders waren die Ergebnisse bei der Abstimmung über die Präambel. Die nun vom KV Köln ergänzte und überarbeitete Version der vorgeschlagenen Präambel steht für kreuzbraven Parlamentarismus. Sie wurde damit verteidigt, dass sie strömungsübergreifend erarbeitet sei und getragen würde. Der Ersetzungsantrag aus dem KV Mettmann, der für einen Richtungswechsel und deutliche Veränderungen warb, wurde leider nicht angenommen. Nicht die Utopie einer neuen sozialen Idee mit Ansätzen zur Überwindung des Kapitalismus stehen nun im Mittelpunkt der Präambel.
Auch in der Gesamtfassung des Landtagswahlprogrammes fehlt es an konkreten linken Zukunftsideen. Die nun mit vielen Änderungen beschlossene Fassung stellt wieder vor allem die soziale Frage in ihrer traditionellen Form in den Mittelpunkt und wirkt außerdem, als ob die LINKE kurz vor Eintritt in Koalitionsverhandlungen stünde. Es erscheint zu sehr wie das Programm einer "neuen Sozialdemokratie", vulgo "SPD 2.0". Alleinstellungsmerkmale, die einen Unterschied zu SPD und GRÜNEN machen, gibt es deutlich zu wenige. Damit wird es schwierig sein, bei den Landtagswahlen im Mai 2022 von den Wähler*innen als Alternative wahrgenommen zu werden und die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. Es wäre zudem auch notwendig gewesen, auf die Dringlichkeit und den Nutzen einer linken Opposition im Landtag und in der Gesellschaft zu verweisen.
Bei den Nachwahlen zum Landesvorstand konnten sich überwiegend Kandidat*innen der Bewegungslinken durchsetzen. Es bleibt abzuwarten, ob sich dadurch eine andere politische Ausrichtung des Landesverbandes ergeben wird. DIE LINKE NRW wird die Frage beantworten müssen, ob sie im Spiel der bürgerlichen Demokratie die Rolle des Arztes am Krankenbett des kapitalistischen Systems übernehmen will oder sich im Bündnis mit fortschrittlichen Bewegungen für eine wirkliche Veränderungen der Kräfteverhältnisse einsetzt.
Es bleibt spannend!
Für die Auswertung der Bundestagswahlen waren Gastbeiträge von Janine Wissler und Sahra Wagenknecht vorgesehen. Jedoch bereits bei der Beratung über die Tagesordnung geschah Unerwartetes. Ein Antrag, die Rede von Sahra Wagenknecht abzusetzen, weil sie keine bedeutende Rolle mehr in NRW spiele, wurde mit deutlicher Mehrheit angenommen. Schon lange gibt es im Landesverband eine große Unzufriedenheit darüber, dass Sahra Wagenknecht sich, außer bei Großveranstaltungen in Wahlkampfzeiten, kaum in NRW sehen lässt und sich nicht an der politischen Diskussion über den Kurs der Partei beteiligt. Mit dem Erscheinen ihres Buches "Die Selbstgerechten" direkt nach ihrer Aufstellung als Spitzenkandidatin in NRW und ihrer anschließenden Medienkampagne für ihr Gegenprogramm zum Programm der Linken und der Diskreditierung vieler Mitglieder als Lifestyle-Linke hat sie weiter an Zustimmung verloren. Und die krachende Niederlage bei der Bundestagswahl, nach der nur noch sechs von ehemals zwölf Abgeordneten aus NRW im Bundestag vertreten sind, wird von vielen auch ihr und dem auf sie zugeschnittenen Wahlkampf angelastet.
Ein Antrag der AKL "Programm und Partei verteidigen", mit dem Ziel Mandats- und Funktionsträger*innen auf die Grundsätze der Partei im Bereich Internationalismus, Migration und Integration und die Zusammenarbeit mit fortschrittlichen sozialen Bewegungen, für eine verbindende Klassenpolitik zu verpflichten, wurde in der Tagesordnung mit knapper Mehrheit nicht nach der Auswertung der Bundestagswahlen aufgenommen und dann am Sonntag nicht mehr behandelt.
Das zeigt, dass es zwar viel Kritik an dem Kurs von Sahra Wagenknecht und anderen gibt, aber konkrete Festlegungen am Ende immer noch gescheut werden. Das sich am Sonntag bei einem Geschäftsordnungsantrag, diesen Antrag noch zu behandeln, ausgerechnet der zurückgetretene Landessprecher und ehemalige Mitarbeiter von Sahra Wagenknecht, Christian Leye, dagegen aussprach, war bezeichnend. Aber der Antrag ist im Gespräch und die Inhalte werden nicht nur von der AKL weiter verfolgt werden.
Die meiste Zeit nahmen die Diskussionen über die Ausrichtung zu den Landtagswahlen und das Landtagswahlprogramm in Anspruch. Anhand der großen Zahl von Änderungsanträgen war bereits im Vorfeld klar, dass es in der Partei einen erheblichen Bedarf an einer Änderung der Ausrichtung der Partei zu den Landtagswahlen gibt. Auch wenn viele Änderungsanträge übernommen oder teilweise eingearbeitet wurden, gab es immer noch reichlich Diskussionsbedarf.
Leider konnte ein Antrag in der Generaldebatte auf Schluss der Redeliste nicht verhindert werden. Ein weiteres Mal konnten die angeblich „konstruktiven Kräfte“ erreichen, dass nicht über die grundsätzliche Ausrichtung der Partei zu den Landtagswahlen, sondern nur noch über Einzelanträge diskutiert und abgestimmt wurde. Die Abstimmungsergebnisse über Änderungsanträge schwankten zwischen einem "weiter so" bis hin zu offener Opposition gegen den Entwurf und der Ausrichtung des Landesvorstandes.
Der Antrag der LAG Bildung, den Bildungsteil mit einem anderen politisch-strategischen Ansatz zu verbinden, der an das Leiden von Schüler*innen und Eltern während der Pandemie anknüpft, wurde mit deutlicher Mehrheit angenommen. Die Forderung „Schule ohne Hausaufgaben - Schule ohne Noten” steht für eine konkrete politische Utopie in der Bildungspolitik.
Änderungsanträge zu dem sozialdemokratisch erscheinenden Wirtschaftskapitel mit neoliberalen Attitüden konnten leider nur jeweils zwischen 30 und 40 Prozent der Stimmen erreichen. Aber die Diskussion darüber wie linke Wirtschaftspolitik aussehen kann und soll, ist damit eröffnet. Als weiteres deutliches Plus für das Programm werten wir das sehr konkrete Kapitel zur Klima-, Umwelt- und Tierschutzpolitik. Hier zeigt die Landespartei, dass sie die Notwendigkeiten zeitgemäßer linker Klima-, Umwelt- und Tierschutzpolitik verstanden hat.
Ganz anders waren die Ergebnisse bei der Abstimmung über die Präambel. Die nun vom KV Köln ergänzte und überarbeitete Version der vorgeschlagenen Präambel steht für kreuzbraven Parlamentarismus. Sie wurde damit verteidigt, dass sie strömungsübergreifend erarbeitet sei und getragen würde. Der Ersetzungsantrag aus dem KV Mettmann, der für einen Richtungswechsel und deutliche Veränderungen warb, wurde leider nicht angenommen. Nicht die Utopie einer neuen sozialen Idee mit Ansätzen zur Überwindung des Kapitalismus stehen nun im Mittelpunkt der Präambel.
Auch in der Gesamtfassung des Landtagswahlprogrammes fehlt es an konkreten linken Zukunftsideen. Die nun mit vielen Änderungen beschlossene Fassung stellt wieder vor allem die soziale Frage in ihrer traditionellen Form in den Mittelpunkt und wirkt außerdem, als ob die LINKE kurz vor Eintritt in Koalitionsverhandlungen stünde. Es erscheint zu sehr wie das Programm einer "neuen Sozialdemokratie", vulgo "SPD 2.0". Alleinstellungsmerkmale, die einen Unterschied zu SPD und GRÜNEN machen, gibt es deutlich zu wenige. Damit wird es schwierig sein, bei den Landtagswahlen im Mai 2022 von den Wähler*innen als Alternative wahrgenommen zu werden und die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. Es wäre zudem auch notwendig gewesen, auf die Dringlichkeit und den Nutzen einer linken Opposition im Landtag und in der Gesellschaft zu verweisen.
Bei den Nachwahlen zum Landesvorstand konnten sich überwiegend Kandidat*innen der Bewegungslinken durchsetzen. Es bleibt abzuwarten, ob sich dadurch eine andere politische Ausrichtung des Landesverbandes ergeben wird. DIE LINKE NRW wird die Frage beantworten müssen, ob sie im Spiel der bürgerlichen Demokratie die Rolle des Arztes am Krankenbett des kapitalistischen Systems übernehmen will oder sich im Bündnis mit fortschrittlichen Bewegungen für eine wirkliche Veränderungen der Kräfteverhältnisse einsetzt.
Es bleibt spannend!